Zwei Labels, zwei Visionärinnen, ein gemeinsames Ziel: Diallo tissue tales und kokoso zeigen, wie fairer Handel und kreative Kraft die Welt verbinden können.
Franceline Ouédraogo
Seit dem internationalen Frauentag ist der Faso dan Fani auch in Berlin zu Hause. In der Florastraße im Stadtteil Pankow fällt ein Schaufenster sofort ins Auge. “Diallo tissue tales – kulturverbindende Mode aus Burkina Faso und Berlin” steht dort. Dahinter: handgefertigte Mode, Wohntextilien und Taschen aus farbenprächtigen, westafrikanischen Stoffen. Die Marke Diallo tissue tales verbindet seit 2021 westafrikanisches Handwerk mit modernem Design – getragen von der Vision ihrer Gründerin Tanja Diallo, faire wirtschaftliche Kooperationen mit Produzent:innen in Burkina Faso zu schaffen. Die Stoffe für ihre Mode und Interior-Design-Kollektionen – insbesondere Faso dan Fani (siehe Kasten), ein traditionell gewebter, Baumwollstoff – entstehen in enger Kooperation mit Weberinnen. Die kunstvoll gewebten Stoffbahnen und werden in Berlin und Burkina Faso zu Mode oder Wohnaccessoires verarbeitet. Jedes Stück erzählt eine Geschichte: von Handarbeit, Frauenförderung und interkulturellem Austausch. Diese Geschichten sind auch im Blog nachzulesen, unter www.tissuetales.net/stoffgeschichten.
Die Designerin und Redakteurin mit burkinischer Familie Tanja Diallo reist seit mehr als drei Jahrzehnten nach Burkina Faso. Seit 2019 arbeitet sie mit Textilkollektiven, Ausbildungszentren und kleinen Werkstätten in Bobo Dioulasso und Ouagadougou zusammen. Auch nach dem Staatsstreich 2022 blieb sie dem Land verbunden. „Die Sicherheitslage erfordert Umsicht, doch mit Planung, und der Erfahrung der Menschen vor Ort lässt sich gut in Burkina leben und arbeiten. Trotz der Herausforderungen durch die Überfälle in den grenznahen Gebieten spüre ich eine Aufbruchsstimmung, getragen von Stolz, Gastfreundschaft und Erneuerung“, sagt Diallo.
Faso dan Fani – Ausdruck kultureller Identität
Das zentrale Symbol des kulturellen Reichtums von Burkina Faso ist der Faso dan Fani, ein aus lokal angebauter Baumwolle hergestelltes, relativ festes Gewebe. Zu dem Namen finden sich unterschiedliche Übersetzungen: „gewebter Lendenschurz aus Burkina Faso“, „gewebter Stoff des Landes“ oder „Tuch, das spricht“. Jedes in den Stoff eingewobene Design trägt eine besondere Botschaft und spiegelt unterschiedliche Facetten der westafrikanischen Kultur und Geschichte wider.
Der Stoff dient nicht nur als Material für Bekleidung, sondern ist auch ein Symbol für Identität und Handwerkskunst in Burkina Faso. Seit der Oktoberrevolution 1983 hat der Stoff westliche Kleidung in Burkina immer häufiger ersetzt. Der charismatische 5. Präsident des damaligen Obervolta, Thomas Sankara, positionierte den Faso dan Fani schon 1986 als Metapher der Befreiung: „Den Faso dan Fani zu tragen, ist ein wirtschaftlicher, kultureller und politischer Akt der Missachtung des Imperialismus. In jedem Dorf in Burkina Faso wissen wir, wie man Baumwolle anbaut. In allen Dörfern wissen die Frauen, wie man Baumwolle spinnt, die Männer wissen, wie man diesen Faden zu Lendentüchern webt, und andere Männer wissen, wie man diese Lendentücher zu Kleidern näht. Wir dürfen nicht Sklave dessen sein, was andere produzieren“.
Heute prägen Kleider, Pagnes und Sakkos aus Faso dan Fani das Bild in den Städten und Dörfern mit. Seit Mai 2019 genießt der Faso Dan Fani Markenschutz, um Fälschungen und unlauteren Wettbewerb entgegenzuwirken. So werden nicht zuletzt auch die rund 30.000 Arbeitsplätze im Baumwollsektor geschützt. Aktuell steht der Faso dan Fani im Mittelpunkt der kulturellen Reformen in Burkina Faso: Neue Richtlinien der Übergangsregierung sehen ihn als Schuluniform, als Kleidung für die Justiz und in der öffentlichen Verwaltung vor. Durch diese kulturpolitische Entscheidung sollen die textilen Relikte der Kolonalisierung wie Richterroben und westliche Schuluniformen ersetzt werden. Sie ist ein wichtiger Schritt zur Dekolonialisierung des Denkens, mit dem Faso dan Fani als sichtbarem Ausdruck der kulturellen Identität. Der Stoff hilft den Menschen ihre eigenen Wurzeln zu akzeptieren und ermutigt sie, ihren Nationalstolz selbstbewusst zu zeigen.
Weben für ein besseres Leben
Ein Herzstück des Projekts ist die Zusammenarbeit mit dem Ausbildungszentrum Vie Meilleure in Bobo Dioulasso. Dort werden junge Frauen – viele von ihnen gehörlos, verstoßen oder geflüchtet – im Weben und Schneidern ausgebildet. Sie erhalten so eine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben. Der Anspruch: Empowerment durch nachhaltige Arbeit, nicht durch Almosen. Bei den Frauen von Vie Meilleure hat Tanja Diallo 2022 eine Ausbildung am mechanischen Webstuhl abgeschlossen – eine körperlich und geistig fordernde Tätigkeit. Die Arbeit verlangt Geduld, Kraft und Konzentration. Schon das Einrichten des Webplatzes ist Knochenarbeit: Webstühle werden im Freien positioniert, 100 Baumwollfäden auf bis zu 21 Metern entwirrt und so gut es geht gegen den aufwirbelnden Staub des Harmatan-Windes geschützt.
Ein Teil der kokose-Familie
Die Entstehung des ersten Meters Stoff ist ein echtes Erlebnis – Millimeter für Millimeter, durch das Zusammenspiel von Pedalen, Schiffchen und Kamm wächst die wunderbare Webware. Unter Anleitung ihrer Ausbilderin Tensoba Ouoba und der Vereinsleiterin Franceline lernt sie nicht nur die Kunst des Webens, sondern auch Demut. Die Pause mit den Frauen auf der roten Erde, das gemeinsame Essen von To, die Gebete im Lagerraum, das gemeinsame Färben der Fadenstränge in kochendem Wasser bei sengender Hitze und die unablässigen, von Lachen erfüllten Gespräche der Frauen auf Dioula. Sie drehen sich um die Längen der Fadenstränge, die für die bestellten Muster gefärbt werden müssen, die Rezepturen der Farben, die Verteilung der Arbeiten und natürlich um Gott und die Welt und alles, was in Bobo Dioulasso passiert. Dabei werden die gehörlosen Frauen mit Gesten und Mimik in alle Prozesse einbezogen – all das macht die Erfahrung zu einer menschlich tief bewegenden.
Besonders eindrucksvoll: Franceline Ouédraogo gründete den Verein, um gehörlosen und benachteiligten Frauen eine Perspektive zu geben. Viele bleiben nach der Ausbildung im Betrieb – nicht nur wegen des Einkommens, sondern weil sie Teil einer Gemeinschaft sind. Dieses gelebte Empowerment zeigt, worum es Diallo tissue tales wirklich geht: Teilhabe, Würde und wirtschaftliche Eigenständigkeit – gewebt aus Fäden und Vertrauen.
kokoso – Stil mit Haltung
Fatoumata Traoré, Ausbilderin bei Vie Meilleure und Tanja Diallo, Gründerin von Diallo tissue tales
Auch die Taschenmarke kokoso, mit Sitz in Genf, teilt diesen Ansatz einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das Label verkörpert eine lange Geschichte der Liebe zum Kunsthandwerk, zu den Menschen in Burkina Faso und zu afrikanischen Farben. Gründerin und Künstlerin Doris Margel-Hoppe arbeitet seit über 15 Jahren eng mit vier Schneidern in Bobo Dioulasso zusammen. In ihrem Genfer Atelier entwirft sie kunstvolle Taschen, gefertigt werden sie in Burkina Faso – unter fairen Bedingungen und in enger Abstimmung mit der „kokoso-Familie“. Die Stoffe – Waxprint, Kokodunda, Bogolan und Faso dan Fani – kombiniert sie auch mit recyceltem Material wie Kunststoffresten oder Stoffcoupons zu einzigartigen Kreationen. kokoso ist Teil von SwissFairTrade. Während ihrer Aufenthalte in der burkinischen Kultur- und Handelsmetrople lebt Doris bei der Familie Kone, die in das Projekt eingebunden ist: Sie übernimmt die Beratung bei der Stoffwahl, organisiert den Kauf und die Herstellung der Materialien vor Ort und kümmert sich um Versand und Logistik. Die Arbeit für kokoso sichert ein würdiges Einkommen – und zeigt, wie respektvolles Miteinander funktionieren kann. Aktuell entstehen in Kooperation mit Vie Meilleure eigene Stoffdesigns für die hochwertige Taschenkollektion aus Faso dan Fani.
Ein neues Kapitel: Die geplante Manufaktur in Bobo Dioulasso
Diallo und Margel-Hoppe haben sich 2023 in Bobo Dioulasso kennen gelernt und schnell festgestellt, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen ihren Werten und Visionen gibt. Der kokoso-Chefin ist es bereits gelungen, die Wertschöpfung ihrer Markenprodukte in Burkina zu halten, indem sie vor Ort Arbeitsplätze schafft und das Einkommen der Schneider über die Nachfrage aus der Schweiz und Europa sichert. Diallo tissue tales sieht sich als Botschafterin des kulturellen Reichtums aus Burkina Faso mit großer Empathie für das Land und die Menschen Burkina Fasos: Mit Vorträgen und Magazinbeiträgen erzählt und schreibt sie das Narrativ des Landes neu und schafft so ein Bewusstsein für dekoloniale Wirtschaftskonzepte. Außerdem bringt sie das Konzept des afrikanischen Maßschnitts nach Berlin und setzt sich für nachhaltige Slow Fashion mit globaler Verantwortung ein.
Ein nächster Meilenstein für Diallo tissue tales und kokoso ist die Gründung einer eigenen Manufaktur für textiles Handwerk vom Weben, über das Stricken mit burkinischer Baumwolle, das Färben mit natürlichen Farben und das Nähen der gefertigten Materialien zu ästhetischen Produkten mit Kulturgeschichte. Die Manufaktur ergänzt die Arbeit der schon vorhandenen Vereine und soll Frauen eine berufliche Perspektive bieten. Sie soll Raum für Kreation und handwerkliche Produktion schaffen, in dem neue kulturverbindende Ideen zwischen Europa und Afrika entstehen und umgesetzt werden können. Derzeit wird der Kauf eines Grundstücks vorbereitet – ein komplexer Prozess, begleitet von Freund:innen und Immobilienexperten.
Gemeinsam wachsen – ein neues Verständnis von Zusammenarbeit
Beide Labels zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale Verantwortung kein Widerspruch sind. Es geht um „Trade, not Aid“: Produkte aus dem Globalen Süden werden als hochwertige, kulturell verwurzelte Designobjekte im Globalen Norden vermarktet. Die Zahl der Aufträge für die Vereine wächst langsam und stetig mit viel persönlichem Engagement von Diallo tissue tales und kokoso und den Kooperationspartner:innen in Burkina Faso. Am Ende geht es den beiden Unternehmerinnen um weit mehr als Produkte. Es geht um Haltung, Mut und ein neues Verständnis von globaler Zusammenarbeit. Diallo tissue tales und kokoso zeigen: klein kann ganz groß sein, wenn Respekt, Fairness und Kreativität den Faden in der Hand halten.
Stimmen der Gründerinnen
„Ich möchte die Botschaft eines kulturell und sozial reichen Afrika in die Welt bringen. Ich bin überzeugt, dass wir mit gegenseitigem Verständnis, faire, dekoloniale Handelsmodelle schaffen können, die sich wirtschaftlich tragen“, sagt Tanja Diallo.
„Bei kokoso verbinden wir die Liebe zum Kunsthandwerk mit echter Partnerschaft – und schaffen so Mehrwert für die Menschen in Burkina Faso und für unsere gemeinsame kreative Arbeit“, ergänzt Doris Margel-Hoppe.
Im Laden in der Florastr. 80 in Berlin
Tanja Diallo (Foto vor dem Berliner Showroom)
Gründerin von Diallo tissue tales
Standorte: Berlin & Burkina Faso
Spezialität: Maßgeschneiderte Mode & Home-Deko aus Faso Dan Fani
Ziel: Faire Kooperation und Frauenförderung
Showroom & Atelier Berlin: Florastraße 80, 13187 Berlin
Öffnungszeiten: Mo–Fr 12–18 Uhr, Sa 10–14 Uhr
Website: www.tissuetales.net
Instagram: @tanja.diallo
www.tissuetales.net
Doris Margel-Hoppe am Webstuhl
Doris Margel-Hoppe (Foto am Webstuhl)
Gründerin von kokoso
Standorte: Genf & Bobo Dioulasso
Spezialität: Taschen aus Baumwolle & Recyclingstoffen
Ziel: Nachhaltigkeit & Partnerschaft auf Augenhöhe
www.kokoso.org
Atelier Genf: 21 avenue des Tilleuls, CH-1203 Genève