KLIMAPARTNERSCHAFT – was ist das?

Die Idee, Klimapartnerschaften zwischen deutschen Kommunen und Kommunen in Ländern des Südens zu gründen, stammt von der elften Bundeskonferenz der Kommunen, die 2009 in München stattfand. Vor dem Hintergrund der gescheiterten Klimakonferenz in Kopenhagen wollten die die Teilnehmer nicht länger auf internationale Vereinbarungen warten und selbst tätig werden

Ziel war es, diese Erfahrungen in einem gemeinsamen Strategiekonzept zu bündeln, um die drängenden Herausforderungen in den Bereichen Klimaschutz und Anpassung an die Folgen der globalen Erwärmung zu bewältigen. Kommunale Partnerschaften zwischen deutschen Kommunen und Kommunen aus dem Globalen Süden sollten dabei sowohl genutzt als auch gestärkt werden.

Im einer kommunale Klimapartnerschaft wird durch die Erarbeitung der Handlungsprogramme der Grundstein für eine langfristige und konstruktive Zusammenarbeit der Partnerkommunen in den Bereichen Klimaschutz und Klimafolgenanpassung gelegt. Dabei wird durch Beteiligung aller kom-munalen Stellen die bestehende Expertise in den Bereichen Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel und der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit gegenseitig und gewinnbringend nutzbar gemacht. Zusätzlich werden neue Akteure in die Partnerschaftsarbeit eingebunden. Die Umsetzung von Maßnahmen und Projekten des Handlungsprogramms kann dabei langfristig nur erfolgreich sein, wenn die unterschiedlichen Akteure aus Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft die formulierten Ziele dauerhaft unterstützen und das Handlungs-programm kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt wird. Diese Vision wurde durch die Verabschiedung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) im September 2015 und des Pariser Abkommens (COP 21) im Dezember 2015 bekräftigt. Die Teilnahme an den kommunalen Klima-partnerschaften gibt der seit fast 30 Jahren bestehenden Städtepartnerschaft Viernheim – Silly einen neuen Impuls, der in den Vordergrund des zukünftigen Handelns gestellt wird. Damit wird das Leitbild der Städtepartnerschaft neu definiert. Es wird deutlich, dass das Viernheimer Klimaschutzkonzept auch eine globale Komponente hat. Die Städtepartnerschaft stand bislang unter dem Aspekt „Helfen“ bei den Handlungsfeldern Gesundheit, Ernährung und Bildung. So gab es immer Helfer und solche, denen geholfen wurde. Der Klimawandel mit seinen Folgen schafft eine Betroffenheit aller auf Augenhöhe. Alle sind betroffen, mehr oder weniger und mit unterschiedlichen Herausforderungen und Konsequenzen. Wir alle müssen mit dem globalen Klimawandel umgehen, uns anpassen, Traditionen ändern, Verhalten überdenken und neue klimaneutrale bzw. klimaangepasste Lösungen suchen.

Klimaworkshop im Jahr 2018

KLIMAPARTNERSCHAFT VIERNHEIM -SILLY

Nach dem Beschluss der Stadtverordneten-versammlung 2018, eine Klimapartnerschaft mit Silly zu begründen, ging es direkt in das Aus-arbeiten von Schwerpunktthemen. Ein Work-shop während des Besuches unserer Partner aus Silly im Herbst war dem Erstellen eines gemeinsamen Handlungsprogramms gewidmet. Das Handlungsprogramm legt konkret fest, was in der Klimapartnerschaft mit welchem Ziel von wem bis wann und womit umgesetzt werden soll. Da es sich um ein gemeinsames Handlungsprogramm handelt, beziehen sich seine Ziele und Maß-nahmen auf beide Partnerkommunen und werden auch anschließend in beiden umgesetzt.

HANDLUNGSSCHWERPUNKTE DER KLIMAPARTNERSCHAFT 

Als Basis diente das Klimaschutzkonzept Viernheim und das Klima-anpassungskonzept Silly. Beide Konzepte machen deutlich, dass Klimaschutz und Klimawandel keine Einzeldisziplinen sind, die sich mit technischen Maßnahmen allein lösen lassen. Vielmehr ist ein gesellschaftlicher Wandel in allen Lebensbereichen und eine Vielzahl von Akteuren aus allen gesellschaftlichen Bereichen erforderlich, Das Ergebnisse des Workshops hat folgende Handlungsschwerpunkte identifiziert, die verfolgt werden sollen:

• Schule und Erziehung, Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung: Nur wer gut informiert und motiviert ist, wir auch zielorientiert handeln können und wollen.

• Stärkung regionaler Strukturen: Nur in stabilen regionalen Strukturen können Maßnahmen umgesetzt werden, Erfolge fuhren zur positiven Rückkopplung und weiterer Stärkung der Strukturen.

• Verwaltung und Bürgerbeteiligung (Good governance): Beteiligung an kommunalem Handeln stärkt die demokratischen Strukturen und sorgt für hohe Akzeptanz bei den umzusetzenden Maßnahmen.

• Erneuerbare Energien: Alle Investitionen in erneuerbare Energien mindern die C02-Emissionen, stärken die Regionen und mindern den Kaufkraftabfluss.

• Land- u. Forstwirtschaft, Umwelt, Wasserversorgung, Bewässerung und Entsorgung: Der Klimawandel erfordert Umstellungen und Anpassungen. Mit technischen Maßnahmen und geschultem Fachpersonal (auch sog. Grüne Berufe) sowie einer gut informierten Bevölkerung lassen sich seine Auswirkungen mildem. 

Besondere Priorität wurden dem Thema Aufforstung und Wasser­speicherung gegeben. Der Bereich Aufforstung wurde durch das Projekt „Ein Kind – ein Baum“ (Anm. d. Red.: Jedes Schulkind pflanzt einen Baum und kümmert sich um ihn.) realisiert. Neben dem praktisch unmittelbar greifbaren Nutzen der Pflanzung von Obstbäumen wie Mango und Zimtapfel hat das Projekt eine Strahlkraft über die Projektlaufzeit hinaus entwickelt: Viele Familien haben den Wert von Obstbäumen erkannt und pflanzen nun, motiviert durch die Pflanzungen ihrer Kinder an den Schulen, selbst Obstbäume an. Dazu soll am BBZ (berufliches Bildungszentrum Silly) eine Baumschule gegründet werden, in der die Familien Bäume erwerben können.

Als zweites großes Projekt wurde die Sanierung eines Regenrückhal­tebeckens diskutiert. Ein vor Jahren nördlich von Silly angelegtes Regenrückhaltebecken, welches nur noch einen Bruchteil des ursprüng­lichen Fassungsvermögens hat, sollte wiederhergestellt werden. Neben dem Regenrückhaltebecken sollten Parzellen angelegt werden. Begleitet werden sollte das Projekt durch eine Bildungsstätte, die an den Klima­wandel angepasste Anbaumethoden vermittelt. Dieses Projekt war ein äußerst umfangreiches Unterfangen mit einem Investitionsvolumen von 500.000 €. Trotz mehrere Anläufe und Neufassungen des Projektantrages wurde dieser leider Ende 2019 / Anfang 2020 abgelehnt. Trotzdem macht der Klimawandel natürlich keine Pause, es ist nun an der Zeit, den Faden wieder auf zu nehmen!

KLIMATISCHER HINTERGRUND SILLY

Die Gemeinde Silly liegt zwischen den Klimazonen Sudan und Souadan-Sahel. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge betrug zwischen 1981 und 2010 ca. 830mm +/-300mm. Die durchschnittliche jährliche Anzahl an Regentagen, an denen mehr als 1 mm Regen gefallen sind betrug im gleichen Zeitraum 79 Tage. Die Regenzeit dauert in der Regel von Mai bis September, während die Trockenzeit von November bis April dauert. Seit 1975 gab es auf nationaler Ebene einen Temperaturanstieg von etwa 0,6°C. Zwischen 1980 und 2010 gibt es einen signifikanten Rückgang des Anteils kühler Nächte und zudem einem Anstieg des Anteils warmer Nächte. Ebenso gibt es einen erkennbaren Rückgang der längsten trockenen Sequenzen im Zeitraum Juli-August-September Durch die Analyse von Daten, die für die drei Klimazonen des Landes repräsentativ sind, wurden Klimaprojektionen für Burkina Faso erstellt. Darin wird prognostiziert, dass es zwar nicht weniger Regen geben soll, sich aber die Regenzeit von Anfang bis Ende ausdehnen wird. Dabei soll es weniger Regen im Juli und August und mehr Regen im September und Oktober geben und die Schwankung der Regenmenge sich erhöhen. Starke Winde und Starkregenereignisse werden häufiger auftreten und die Dauer der trockenen Phasen wird zu Beginn und am Ende der Saison eine größere Schwankungsbreite aufwei­sen. Die Höchst- und Tiefsttemperaturen werden voraussichtlich um 2,5°C bis 5°C ansteigen. Obwohl diese Projektionen landesweiten Charakter haben, vermitteln sie eine Vorstellung von den klimatischen Herausforderungen, denen sich die Gemeinde Silly in der Zukunft stellen könnte.

AUSWIRKUNGEN AUF DIE LEBENSGRUNDLAGEN

Die beschriebenen Klimaveränderungen haben sehr direkte und konkrete Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der Menschen in Silly:

Starkregen

• Landwirtschaftliche Produktion: fehlschlagende Aussaaten, gestörte Anbaukalender, geringere Erträge, erhöhter Schädlingsbefall und damit unkontrollierten Einsatz nicht zuge-lassener Pestizide, niedrigeres Ein-kommen, Verschuldung der Erzeuger und Abwanderung.

• Waldbewirtschaftung: Rückgang der Obst- und Holzproduktion, der zur Entwicklung von Baumschädlingen und der Verbreitung von unkontrolliertem Kohleabbau als Ersatzbrennstoff führt.

• Gesundheit: Die Gesundheitsprobleme werden durch starke Hitze, Dürreperioden, Überschwem-mungen und damit einhergehenden Parasitenbefall verschärft. Tatsächlich begünstigen diese klima-tischen Veränderungen z. B. Meningitisepidemien.

• Tierproduktion: Frühes Versiegen der Tränkstellen für das Vieh, Mangel an natürlichem Futter, Störung des Reproduktionszyklus der Tiere, Erhöhung der Tiersterblichkeit und der Abwanderung der Vieh-züchter. Unzureichende Durchgangskorridore und Viehwege zu Wasserstellen und Weiden verschärfen die Konflikte zwischen Landwirten und Viehzüchtern.

• Bildung: Unzureichende Pünktlichkeit und geringe Anwesenheit im Unterricht, Schwierigkeiten bei der Betreuung der Schüler, insbesondere in Bezug auf Schulgebühren, Schulmaterial, Gesundheit und Klei-dung sowie bei der Beschaffung von Lebensmitteln für die Kantine.

• Berufsbildung: Die Aktivitäten des Ausbildungszentrums für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Viehzucht ist ebenso wie oben unter den Punkten Bildung und landwirtschaftlicher Produktion beschrieben betroffen.

Die Effekte der Klimaveränderung sind bereits deutlich in Silly zu spüren; daher ist es wichtig, unsere Partnergemeinde bei der Anpassung an die Klimaveränderung zu unterstützen. Vor allem das Nachhaltige Entwicklungsziel 15 zum Schutz der Landökosysteme, Bekämpfung von Wüstenbildung und Bodendegradation sowie Erhalt der Biodiversität sollte einen Kernpunkt darstellen, da sonst die Erreichung von etwa 80 Prozent aller anderen SDGs gefährdet ist.

KLIMAPARTNERSCHAFT – WIE GEHT ES WEITER?

Bei dem Besuch von Rene Nana und Bouma Bazie im September 2022 wurde auch das Thema Klimapartnerschaft und Anpassung an den Klimawandel besprochen. Die kommunale Klimapartner-schaft benötigt kommunale Strukturen in beiden Partnerstädten. Auf Grund des Putsches im Januar 2022 in Burkina Faso sind diese Strukturen in unserer Partnergemeinde Silly leider nicht mehr vor-handen. Die zurzeit von der Militärregierung eingesetzte Spezialdelegation hat an der Reise nicht teilgenommen, weshalb kommunale Aspekte nicht besprochen werden konnten. Auch ist die Sonder-delegation voraussichtlich nur 1-2 Jahre im Amt, so dass längerfristige Projekte nicht durchführbar sind. Aber die Kli­mapartnerschaft hat neben dem kommunalen Aspekt mit der Bürgerschaft der Partnerstädte eine weitere – wenn nicht sogar wichtigere – Komponente. Hierauf soll in den nächsten Jahren der Fokus liegen.

Die klimatischen Randbedingungen haben sich nicht geändert: zu lange Trockenphasen dörren den Boden aus, der Regen kommt dann in sehr großen Mengen sturzflutartig, die Felder stehen unter Wasser und die Pflanzen verfaulen. Wenn das Wasser abfließt wird die oberste Humusschicht mit weggerissen, was die Landwirtschaft weiter erschwert. Es wurde über verschiedene Maßnahmen gesprochen, hier Linderung zu verschaffen. Aber die große Frage lautet: Wie bekommt man dieses Wissen in die breite Bevölkerung? Im ursprünglich angestrebten Großprojekt war ein Klimahaus vorge-sehen, welches als Bildungsstätte für an den Klimawandel angepasste Anbaumethoden dienen sollte. Da dies in den nächsten Jahren nicht umgesetzt werden kann, der Klimawandel aber nicht wartet oder pausiert, müssen andere Wege gefunden werden, Wissen zu vermitteln.

Hier kam in der Diskussion schnell das BBZ zur Sprache. Der Bereich Umweltschutz und Anpassung an den Klimawandel sind bereits Teil der staatlich anerkannten Ausbildung, das Wissen ist also vorhanden. Hierauf kann aufgesetzt werden. Allerdings wird das Fach Umweltschutz von einer Ho­norarkraft unterrichtet, die nicht permanent zur Verfügung steht. Idealerweise würden 2-3 neue Stellen geschaf-fen, die dann sowohl im Berufsbildungszentrum die dortigen Schüler vertieft in angepassten Anbau-methoden und Umweltschutzmaßnahmen unterrichten, aber diese Inhalte sowohl als Workshops für die Bevölkerung anbieten und auch als mobiles Team in die Dörfer fahren. Andere Wissensinhalte sind ebenfalls denkbar, so z.B. Wiederbegrünungsmaßnahmen, Versickerungsmaßnahmen, mittelfristig vielleicht auch eine Sensibilisierung zum Umgang mit Plastikmüll.

Hier stellt sich leider sofort die Frage nach der dauerhaften Finanzierung von drei festangestellten Lehrern. Die Finanzierung des Berufsbildungszentrums ist bereits heute eine Herausforderung, so dass dauerhaft zusätzliche Kosten im Moment nicht vorstellbar sind.

Somit werden die oben beschriebenen Maßnahmen vermutlich eher in thematisch und zeitlich abgegrenzten Projekten stattfinden müssen. In den nächsten Monaten geht es also darum, zumindest ein erstes Projekt in dieser Richtung zu erarbeiten, zu konzipieren und dann im Laufe des nächsten Jahres auch durchzuführen, um mit diesem Ansatz Erfahrungen zu sammeln. Auch wenn noch keine konkreten Projekte formuliert wurden, so ist doch zumindest der mögliche Weg, wen wir zusammen mit unseren Freunden in Silly zur Anpassung an den Klimawandel gehen können, skizziert und es wird daran gearbeitet, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, die Bürger unserer Partnerkommune bei der Bewältigung dieser überlebensnotwendigen Herausforderung zu unterstützen. 

Gerrit Lohmann, FOCUS Viernheim