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Es hätte ein Skandal sein müssen.

Auch Burkina (Obervolta)wurde 1960 verstrahlt

Dass Kernwaffentests Gemeingefährdung bedeuten, ist heutzutage allen klar. Was die französischen Versuche in der Sahara 1960-66 betrifft, kommt noch unterlassene Hilfeleistung dazu. Mehr als fünfzig Jahre zu spät, 2013, hat Paris das Ausmaß der Gefährdung bekanntgegeben.

Alle diejenigen, die für diese beiden Tatbestände verantwortlich waren, gehören meines Erachtens vor den Internationalen Strafgerichtshof. Zudem sollte Kompensation für alle Geschädigten selbstverständlich sein. Das Gegenteil ist der Fall: Sogar erkrankte französische Soldatinnen müssen um Entschädigung jahrelang kämpfen, Afrikanerinnen und andere Anrainerinnen haben wohl gar keine Chance.

DIE BLAUE WÜSTENSPRINGMAUS

F Es hätte ein Skandal sein müssen 11958    bringt    die   Algerienkrise de  Gaulle in  Frankreich zurück an die Macht. Der General richtet daraufhin rasch eine nukleare Abschreckstreitmacht (Force de dissuasion nucleaire) ein. Am 13. Februar 1960 findet unter dem Namen „Blaue Wüstenspringmaus" der erste Atomversuch statt, in den nächsten 15 Monate folgen drei weitere, die „weiße", die „rote" und die „grüne Wüstenspringmaus" - alle oberirdisch, alle in der algerischen Sahara, an einem Ort, der ausgewählt worden ist, weil er „unbewohnt" ist, sagt das offizielle Frankreich. Anrainerinnen, insbesondere die Bewohnerinnen von Reggane, sind nicht um ihr Einverständnis gefragt worden. Interviews bezeugen, wie heftig sie von den Auswirkungen der Explosion betroffen waren, auch wenn sie vom „Nullpunkt" circa 50 km entfernt waren.

ÖFFENTLICH UND DOCH GEHEIM

Die Sprengkraft der ersten, also der blauen Wüstenspringmaus, beträgt 70 Kilotonnen TNT, fünfmal so viel wie die Hiroshima-Bombe, da waren es nur circa 13 Kilotonnen TNT. Die Gefahren einer solchen Explosion sind 1960 ausreichend bekannt. Die Schutzvorkehrungen hingegen sind absolut unzureichend, oft beschränken sie sich auf die Anweisung, sich hinzulegen und nicht hinzuschauen. Strahlenbelastung und Auswirkungen werden französischerseits erforscht und gewissenhaft dokumentiert - und in der Folge unter Verschluss gehalten - Militärgeheimnis!

GBildschirmfoto 2017-07-15 um 13.25.11leichzeitig sind die Kernwaffentests alles andere als geheim, das wäre sinnwidrig: Es geht darum, Frankreich als Atommacht glänzen zu lassen, es im Konzert der Großen dieser Welt zu etablieren. 1962 wird Algerien unabhängig. Das stört die Pariser Atomtests mitnichten. 1960-66 werden insgesamt 17 in der algerischen Sahara durchgeführt, nach den vier oberirdischen nahe Reggane noch 13 unterirdische im Hoggar-Massiv in der Nähe von Tamanrasset. Als Frankreich dann 1966 abzieht, wird stark verstrahltes Material im Sand eingegraben oder in Stollen eingemauert. Aber die algerischen Autoritäten werden von Frankreich nicht eingeweiht – damals nicht und in der Folge auch nicht.

Alle Informationen (wo verstrahltes Material endlagert, wo nach den Explosionen die radioaktive Wolke hinzieht) liegen ein halbes Jahrhundert lang in Paris unter Verschluss. 2013 bewirkt ein Prozess französischer Soldaten gegen ihr Heimatland eine Teilaufhebung des Militärgeheimnisses, am 4. April, um genau zu sein. Bis dahin konsequent unter Verschluss gehaltene Dokumente, insbesondere die abgebildete Karte, werden schließlich am 14. Februar 2014 von der französischen Tageszeitung Le Parisien veröffentlicht.

VON EINEM STURM DER ENTRÜSTUNG IN DEN BETROFFENEN AFRIKANISCHEN LÄNDERN HABE ICH NICHTS GEMERKT.

Seither wissen wir jedenfalls, wie weit die nukleare Wolke herumgekommen ist. Die Osthälfte Obervoltas hat ihre Dosis drei Tage nach der Explosion abbekommen, am 16. Februar 1960, die Westhälfte am Tag darauf. Der Großteil der Informationen über die französischen Atomversuche unterliegt jedoch nach wie vor dem "secret defense", dem sakrosankten Militär-geheimnis. Und bleibt daher unter Verschluss.

Paris hat 1966 nicht mit seinen Kernwaffentests aufgehört - de Gaulle hat sie nur in den Pazifik übersiedelt, nach Polynesien, Mururoa (eigentlich: Moruroa) vor allem. Bis 1996 werden es stattliche 210 Atomversuche sein. Auch in Polynesien werden Einheimische und französische Soldatinnen verstrahlt und teils schwer geschädigt. Der Anlass zu diesem Artikel war ein algerischer Film, der am 1. März 2017 bei der Fespaco in Ou-gadougou gezeigt wurde: „Liebesgrüße aus Moruroa" von Larbi Benchiha, 52 Minuten lang. Da geht es um Polynesien. Der bei der Vorführung anwesende Regisseur hatte bereits 2008 einen F Es hätte ein Skandal sein müssen 2Film über die Kernwaffentests in der Sahara gemacht: „Sandsturm - die Sahara der Atomversuche".

DE GAULLE & NACHFOLGERVOR DEN ICC ! ODER: ENDLICH PRO-AFRIKANISCH! EINE CHANCE AUF WIEDERGUTMACHUNG FÜR DEN ICC

Von afrikanischer Seite wird dem Internationalen Strafgerichtshof oft vorgeworfen, er sei antiafrikanisch. Und angesichts der Fälle, die dort behandelt werden, und angesichts der Fälle, die dort NICHT behandelt werden, ist der Vorwurf schwer zu entkräften - auch wenn als Chefanklägerin seit 2012 die gambische Juristin Fatou Bom Bensouda fungiert und auch wenn die erste Vizepräsidentin eine Afrikanerinist: Joyce Aluoch aus Kenia.

Der seit 2002 aktive Internationale Strafgerichtshof (IStGH, besseer bekannt unter seinem englischen Akronym ICC für International Criminal Court) verhandelt Akte des Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen oder andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, die Individuen, also einzelnen Personen zur Last gelegt werden.

China, Indien, USA, Russland, Türkei und Israel sind nicht dabei, die afrikanischen Staaten schon. Allerdings haben Burundi, Gambia und Südafrika 2016 ihren Wiederaustritt aus dem ICC in die Wege geleitet. Für Gambia hat der neue Präsident Adama Barrow den Austritt vor kurzem gestoppt. Auf dem letzten Gipfel der Afrikanischen Union wurde allerdings ein gemeinsames, kontinentweites Vorgehen beraten - denn die Unzufriedenheit unter afrikanischen Staatschefs ist weit verbreitet, wollen sie doch weiter ungestört regieren - dass ihr Gebaren und ihre Missetaten je einer juristischen Kontrolle unterworfen werden könnten, passt gar nicht zu ihren Vorstellungen unumschränkter Machtausübung. Und so behaupten sie, den Internationalen Strafgerichtshof abzulehnen, weil er rassistisch und antiafrikanisch ist

http://www.mondialisation.ca/le-sahara-contamine-durablement-par-luranium-la-mort-lente-en-differe/5369951

Was könnte diesen (zumindest teilweise berechtigten) Vorwurf der Parteilichkeit besser entkräften, als wenn de Gaulle, Pompidou, Giscard, Mitterand, Chirac, Sarkozy und Hollande allesamt der Gemeingefährdung und/oder unterlassenen Hilfeleistung angeklagt würden? Und auch wenn die zweifellos unvermeidlichen Verurteilungen teils posthum erfolgen würden, was wäre das für ein Warnschuss vor den Bug der Mächtigen, die glauben, sich alles erlauben zu können!

Anmerkungen:

1. Mein Argument ist ein moralisches, kein juristisches.

Für gemeingefährliche Straftaten sind im deutschen Strafrecht die §§ 306-323c StGB relevant. Dazu zählt die "Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens § 310 StGB" - https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeingef%C3%A4hrliche_Straftat.

Die unterlassene Hilfeleistung wird für Deutschland im § 323c Strafgesetzbuch geregelt. Wer "bei einem Unglücksfall keine Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und möglich war, (wird) mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft" –

 http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/u/unterlassene-hilfeleistung/.

In Frankreich heißt der entsprechende Straftatbestand "Non-assistance à personne en danger" – siehe

https://fr.wikipedia.org/wiki/Non-assistance_%C3%AO_personne_en_danger

Hingegen scheint  "danger public", also das französische Pendant zur "Gemeingefährdung", ein nur ungenau definiertes juristisches Konzept zu sein.

2. Auf

https://fr.wikipedia.org/wiki/Liste_des_essais_nucl%C3%A9aires_fran%C3%A7ais

findet sich die Liste der 210 französischen Kernwaffentests.

3. Larbi Benchihas "Vent de Sable - le Sahara des essais nucleaires (Sandsturm: die Sahara der Atomversuche)", 57 Minuten lang, Algerien 2008, ist auf

https://www.youtube.com/watch?v=HK-m6MXasgVo

verfügbar. Der Film wurde fünf Jahre vor der Teilaufhebung des Militärgeheimnisses gemacht, ist insofern nicht auf neuestem Stand. Das macht freilich die Interviews um nichts weniger wahr.

Günther Lanier, Ouagadougo