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BURKINA FASO: WIE DER STURZ VON KABORÉ TATSÄCHLICH ABLIEF

Sechs Jahre nach seiner Wahl wurde Roch Mare Christian Kaboré am Sonntag, 23. Januar, in wenigen Stunden durch einen militärischen Staatsstreich gestürzt. JEUNE AFRIQUE schildert exklusiv den Tag, an dem Oberstleutnant Damiba die Macht übernahm.

Er ahnte nichts von dem Misstrauen eines Teils des Militärs ihm gegenüber und auch nichts von den immer lauter werdenden Gerüchten über einen bevorstehenden Putsch. Vielleicht aber dachte sich der burkinische Präsident Roch Marc Christian Kaboré, als er am frühen Morgen des 23. Januar benachrichtigt wurde, dass im Camp „Sangoulé Lamizana“ Schüsse zu hören seien, dass - nach dem Sturz des malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita und des ghanaischen Präsidenten Alpha Conde - nun er an der Reihe sei.

Doch seine Umgebung nimmt die These von einer simplen „Meuterei“ schnell auf. Offiziell sollen die Schüsse von Soldaten gekommen sein, die verschiedene Forderungen hatten: mehr Personal und mehr Geld, mehr Wertschätzung von Seiten der Politik, aber nicht den Sturz des Präsidenten. In Wahrheit war der gefürchtete Putsch schon losgegangen.

Der Putsch ist ausgereift und gut geplant. Junge Offiziere, unter ihnen Paul-Henri Sandoaga Damiba, Kommandant der 3. Militärregion, der größten Burkinas, sind ziemlich aufgebracht wegen des Umgangs mit der Sicherheitskrise, die das Land bedroht. Die Verhaftung von Oberstleutnant Zoungrana, der zum Abschlussjahrgang der Militärakademie von Kadiogo ein Jahr nach Damiba gehörte und angeklagt wurde, einen Staatsstreich vorbereitet zu haben, beschleunigt nur noch den Prozess. Mehr denn je fühlen sich Damiba und seine Offizierskameraden unter Druck. Sie waren schon wütend, weil einer von ihnen, Oberstleutnant William Combary, Kommandant der mobilen Einsatzgruppe von Ouagadougou, nach den Ereignissen von Inata aus dem Dienst entfernt wurde. Das Gerücht, dass eine Liste von Soldaten - genannt die „Boys“ - existiere, die die Regierung ebenfalls aus dem Dienst entfernen wolle, bringt das Fass zum Überlaufen. Und, Ironie der Geschichte, der nächste im Visier war Oberstleutnant Damiba, wie eine Quelle aus dem Militär versichert.

Nun wird, unter größter Geheimhaltung, der Beschluss gefasst, zur Tat zu schreiten. In der Nacht von Samstag, 22.1., auf Sonntag, 23.1., machen sich Teile der „Cobra“-Einheiten (Spezialkräfte der Armee, die in Kamboinsé, einem nördlichen Vorort von Ouaga, stationiert sind) auf den Weg zum Camp „Sangoulé Lamizana“. Dort entwaffnen sie die Wache und übernehmen schnell die Kontrolle des Camps. Parallel dazu dringen Offiziere der Luftwaffe in das Gelände der Luftwaffenbasis neben dem Flughafen von Ouaga ein. Auch im Artillerieregiment von Kaya erheben sich Komplizen der Aufständischen.

LETZTE VERHANDLUNGGSVERSUCHE

Für das Regime ist die Lage sehr beunruhigend. Statt mit seiner Frau zur Messe zu gehen und so, wie er es gewöhnt ist, den Sonntag in seinem Haus im Viertel „Patte d‘Oie“ zu verbringen, zieht sich der Präsident in die Ministervilla in der Nähe des Kosyam-Palastes, die ihm als Ausweichbüro dient, zurück. Dort führt er eine Reihe von Telefongesprächen, mit Ministern, Politikern, Offizieren und seinen westafrikanischen Kollegen (Alassane Ouattara, Präsident der Elfenbeinküste; Macky Sali, Präsident des Senegal; Mohamed Bazoum, Präsident des Niger) sowie mit Emmanuel Macron.

Bei allen seinen Gesprächspartnern gibt er sich gelassen: „Wir versuchen, die Lage zu managen. Wir haben Verhandlungen mit den Meuterern begonnen und hoffen auf eine vernünftige Lösung.“ Es gibt Verhandlungen mit den Putschisten, die den Rücktritt der Regierung und mehrere Armeechefs verlangen. Aber die Verhandlungen ergeben nichts.

ES IST EIN WUNDER; DASS ES KEINE TOTEN GAB

„In der Stadt scheint sich die Lage einigermaßen zu normalisieren. Es fallen immer seltener Schüsse, und es gibt keine Massenaufläufe. Am Nachmittag, gegen 16 Uhr, sorgt das Achtelfinale des Afrika-Cups, das Burkina Faso und Kamerun bestreiten, für eine Art Waffenstillstand und für die Illusion einer vorübergehenden Beruhigung der Lage. Trotz der wachsenden Spannungen stellt der Präsident eine scheinbare Gelassenheit zur Schau und versucht, ruhig zu erscheinen. Während die Militärs dabei sind, ihn zu bedrohen, setzt er zwei Tweets ab: den ersten, um den „Hengsten“ der burkinischen Nationalmannschaft vor dem Anpfiff Mut zu machen, und den zweiten, um ihnen für das Weiterkommen zu gratulieren.

HEFTIGER ANGRIFF

Nach dem Spiel gibt Kaboré einem Teil seiner Entourage frei. Es ist Nacht. Um 20 Uhr verfugt die Regierung eine Ausgangssperre. Die, die man morgens noch als „Meuterer“ bezeichnet hat, gehen jetzt in die Offensive. „Die Verhandlungen dienten dazu, Zeit zu gewinnen. Wir wollten den Abend abwarten, um zur Tat zu schreiten“, erzählt einer von ihnen. Putschisten beginnen, den Kosyam-Palast zu umzingeln. Ohne große Schwierigkeiten passieren sie mehrere Checkpoints, wobei es im Moment keine offiziellen Hinweise auf die Existenz von Komplizenschaft innerhalb der GSPR, der aus Militärs, Gendarmen und Polizisten zusammengesetzten Schutztruppe des Präsidentenpalais, gibt. Die Putschisten suchen den Staatschef auf dem ganzen Gelände, auch in den benachbarten Ministervillen.

Kabore ist unauffindbar. Zur gleichen Zeit umzingeln andere Soldaten, die sich Damiba angeschlossen haben, den privaten Wohnsitz des Präsidenten.

Seine Leibgarde beschließt, ein Ablenkungsmanöver zu machen, und versucht, mit einem Autokonvoi die Umzingelung zu durchbrechen. Zwei gepanzerte Allradwagen werden dabei heftig beschossen, wobei zwei Gendarmen der Präsidentengarde schwer verletzt werden. Einer von ihnen verliert einen Finger. „Es ist ein Wunder, dass es keine Toten gab. Das wirft die Frage auf, was die Angreifer mit dem Präsidenten und seiner Bewachung vorhatten. Wollten sie, dass es Überlebende gibt?“, fragt sich eine Quelle aus dem Sicherheitsbereich. Der Präsidentengarde gelingt es, den Staatschef in Sicherheit zu bringen. Doch wohin hat er sich geflüchtet? Das ist schwierig zu sagen. Manche glauben, dass er im Gendarmeriecamp „Paspanga“ im Stadtzentrum Unterschlupf gefunden hat. Andere behaupten dagegen, dass er dort nie war und dass er an einem neutralen Ort in Sicherheit gebracht wurde.

MILITÄR GEGEN GENDARMEN

Eines ist sicher: Seit sie zur Tat geschritten sind, misstrauen die Putschisten der Gendarmerie, die Kaboré treu geblieben ist und die, laut einigen Militärs, von ihm zu viel gehätschelt wird. Zur GSPR gehören im Übrigen auch Gendarmen, die seine Leibgarde bilden. Auch der Geheimdienst ANR wird von einem Gendarmen geleitet, einem Intimus des Staatschefs, der lange sein Adjutant war: Oberst Francois Ouedraogo.

Auf diesen sehr diskreten Gendarmen richteten sich in den letzten Wochen die Spannungen in der Armee, insbesondere deswegen, weil er wollte, dass seine Abteilung vom Generalstab weg direkt dem Verteidigungsminister unterstellt sein sollte. Am Abend wurde sein Amtssitz in Ouaga 2000 von den Putschisten unter Feuer genommen. Wie sehr die Putschisten die Gendarmen fürchteten, zeigte sich daran, dass Hubschrauber einen Großteil der Nacht über dem Camp „Paspanga“ flogen, um eventuelle Truppenbewegungen zu überwachen. Im Hintergrund begannen die Geheimverhandlungen unter den Militärs. Ziel von Oberstleutnant Damiba war es dabei, sicher zu stellen, dass die Gendarmerie sich dem Erfolg des Putsehes nicht entgegen stellt.

14 MÄNNER IM FERNSEHEN

Am Montagmorgen scheint alles klar zu sein. Das Kräfteverhältnis hat sich zugunsten der Putschisten verändert: Fast die gesamte Armee hat sich ihnen angeschlossen. Sie kontrollieren das Präsidentenpalais sowie die strategischen Punkte von Ouaga, und sie haben gepanzerte Fahrzeuge rund um das staatliche Fernsehen postiert, um ihre Machtübernahme anzukün- digen. Kaboreì, der sich immer noch an einem sicheren Ort befindet und von seiner Leibgarde beschützt wird, versucht bis zum Schluss, die Lage zu wenden. Vergebliche Liebesmüh‘! Er kommuniziert noch mit seinen Präsidentenkollegen, darunter Mohamed Bazoum. Man spricht über Möglichkeiten einer Flucht ins Ausland. Laut einer Quelle aus französischen Führungskreisen wurde eine Ausreise mit Hilfe von Paris nicht ins Auge gefasst. Die Quelle versichert, dass „Kaboreì uns nicht um Hilfe gebeten und sich diese Frage deshalb nicht gestellt hat.“ Man bittet Kardinal Philippe Oueìdraogo, der schon bei den verschiedenen Krisen in Burkina Faso in den letzten Jahren als Vermittler aufgetreten ist, um Vermittlung. Die Zeit vergeht. Niemand weiß genau, was passiert, noch, wo sich der Präsident befindet. Der Druck der Putschisten auf die letzten Gendarmen, die ihn umgeben, wird immer größer. Manche befürchten ein blutiges Ende. Kaboreì will alles tun, um das zu vermeiden. Nachdem er von Damiba in Anwesenheit von Kardinal Oueìdraogo Garantien für seine eigene Sicherheit und die seiner Angehörigen bekommen hat, entschließt er sich, die Macht abzugeben, und unterzeichnet seine Rücktrittsurkunde. Der nunmehrige Ex-Staatschef wird diskret den Putschisten übergeben. Jetzt ist der Staatsstreich endgültig vollzogen. Gegen 17:30 Uhr strahlt RTB, die staatliche Fernsehgesellschaft, eine Sondersendung aus, die sie seit Stunden angekündigt hat. Auf dem Bildschirm sehen die BurkinabeÌ 14 uniformierte Männer im Studio – ein Bild, das in Westafrika in den letzten Jahren häufig zu sehen war. Oberstleutnant Damiba ist anwesend, aber das Wort ergreift Hauptmann Sidaoreì Kader Oueìdraogo. „In Anbetracht der Verschlechterung der Sicherheitslage und der offensichtlichen Unfähigkeit der Regierung von Roch Marc Christian Kaboreì, die burkinische Bevölkerung zu vereinen, um der Lage wirksam zu begegnen, und angesichts der Empörung der verschiedenen Schichten unserer Gesellschaft hat die Patriotische Bewegung für die Erhaltung und Wiederherstellung (MPSR) beschlossen, ihre Verantwortung vor der Geschichte zu übernehmen. Die MPSR, die alle Teile der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte umfasst, hat entschieden, an diesem 24. Januar 2022 das Regime von Roch Marc Christian Kaboreì zu beenden.“ Der nunmehrige Ex-Präsident wurde in eine der Ministervillen in Ouaga 2000 verbracht. In seiner Begleitung ist insbesondere sein Leibarzt, Dr. Eìvariste Dabireì. Laut einem seiner Vertrauten wird er gut behandelt, ist bei guter Gesundheit und konnte mit mehreren seiner Angehörigen telefonieren. Auch seine Ehefrau Sika Kaboreì, die bereits am Sonntag in Sicherheit gebracht wurde, konnte ihn besuchen. An diesem Wochenende wollten die Kaboreìs die Hochzeit einer ihrer Töchter in Ouagadougou feiern. Aber die Feier wird nicht stattfinden.

Jeune Afrique in Netafrique vom 27.01.22 Übersetzung: Mathias Wolbers https://netafrique.net/exclusif-burkina-faso-lhistoire-secrete-du-coup-detat-fatal-a-kobore/