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„Mitten“ im Putsch – Besuchergruppe erlebt Staatsstreich „hautnah“

In der letzten Januarwoche des Jahres waren die Vorstandsmitglieder Dr. Pascale Pouzet und Erwin Wiest des Fördervereins Piela-Bilanga aus Ochsenhausen zusammen mit Susanne Langer (Vorsitzende) und Barbara Rode (Vorstandsmitglied) vom Freundeskreis BAREKA aus Untergruppenbach zu Gesprächen mit ihren Partnern und Freunden in Ouagadougou. Ziel war es, nach zwei Jahren der Abstinenz sich wieder persönlich zu Ouagasehen, den Stau an Themen aufzuarbeiten und die laufenden und anstehenden Projekte zu besprechen. Aufgrund der unsicheren Lage war vorgesehen, sich in einem Hotel zu treffen und dessen gut ausgestatteten Besprechungsraum zu nutzen. Die Anreise erfolgte am Samstag, den 22. Januar 2022. In der Nacht zum Sonntag kam es zu einem Staatsstreich, in dessen Gefolge sich der neue starke Mann, Oberstleutnant Damiba, an die Macht putschte. Wie erlebten die Besucher aus Europa den Putsch und den Machtwechsel? Erwin Wiest berichtet über das „Erleben“ hautnah in Ouagadougou, „mittendrin“ und die Gespräche darüber mit den burkinischen Freunden. Wie haben diese den Machtwechsel erlebt? Wie denken sie darüber?

Um so nah als möglich am Erlebten zu bleiben und nicht nachträglich die Stimmung zu verfälschen, habe ich mir die Mails und WhatsApp-Nachrichten angeschaut, die ich unmittelbar vor Ort geschrieben hatte, und zitiere aus diesen. Gesendet nach Hause, an die Vorstandsmitglieder, Bekannten und Freunde und die Lokalredaktion der örtlichen Presse. Am Dienstag, drei Tage nach dem Putsch, schreibe ich an die Zeitung. Daraus entsteht im Laufe der Woche ein Artikel, der dann am Samstag veröffentlicht wird.

(Zitat aus der Mail an den Chefredakteur):

Am Samstag sind wir gestartet und dann abends hier in Ouagadougou angekommen. Wir wohnen in einem Gästehaus im Zentrum, nicht weit weg von der „Primature“(Amtssitz des Premierministers), der Botschaft, dem Parlament und wenige hundert Meter weg von einer Hauptverkehrstrasse, die zum „Place des Nations Unis“ führt. Immer eine bevorzugte Adresse von Demonstrationszügen. Der Palast des Präsidenten liegt außerhalb im neuen Viertel „Ouaga 2000“, ca. 3 km weg.

In der Nacht zum Sonntag hörten wir über längere Zeit Salven von Gewehrschüssen. Am Morgen war dann die Rede von einer Meuterei, später kam das Gerücht auf, der Staatspräsident Roch Kaboré sei verhaftet. Die Regierung hat dementiert. In der Nacht zum Montag hörten wir den Lärm von Hubschraubern über der Stadt. Die Lage war unübersichtlich. Von der deutschen Botschaft waren wir über eMails immer gut informiert. Am gestrigen Tag kam dann von der Botschaft die Bestätigung der Verhaftung des Präsidenten, der Regierung und die Information, die Grenzen und der Flughafen seien geschlossen.

Die Menschen hier, unsere Partner waren nicht besonders überrascht. Ein Putsch lag in der Luft. Die Regierung des Staatspräsidenten, der im letzten Jahr wiedergewählt worden war, hatte es nicht geschafft, die unsichere Lage wegen der Angriffe von bewaffneten Gruppen im Norden und Osten in den Griff zu bekommen. Vor wenigen Monaten waren über 50 Soldaten bei einem Angriff gestorben, weil die Einheit völlig im Stich gelassen, nicht mal mit Essen versorgt wurde, geschweige denn mit Munition. Dazu kommen eine Nahrungsmittelknappheit und die Probleme des schnellen Bevölkerungswachstums. Zudem Rivalitäten zum 2014 abgesetzten Präsidenten. Eine Regierungsumbildung vor 10 Wochen hatte keine Beruhigung gebracht. Am Samstag war eine große Demonstration geplant, die von der Regierung untersagt wurde.

Persönlich fühlen wir uns absolut in Sicherheit, uns geht es gut. Ob wir allerdings rechtzeitig zurückkommen, wird sich zeigen. Die Flüge von Air France sind im Moment annulliert. Unser Besprechungsprogramm geht wie geplant weiter, der Besuch der Botschaft wurde auf Freitag verschoben. Gestern haben wir die allgemeine Lage besprochen, die Nothilfe, die Sicherheits-Situation und die Entwicklung unseres Partners, der APB (Association Piela-Bilanga), zu einer zertifizierten NGO. Die Wochen über wird es Gespräche zu allen Projekten und Aktivitäten geben.

...

Am Mittwoch schreibe ich der Redakteurin auf ein paar Nachfragen:

Wir sind in Stuttgart gestartet, dann ging es über Paris-Charles de Gaulle in sechs Stunden über das Mittelmeer und die Sahara nach Ouagadougou. Am Samstagabend möchten wir zurückfliegen. Es wird sich in den nächsten Tagen zeigen, ob dies so funktioniert. Gestern Abend kam die Nachricht, dass der Flughafen in Ouagadougou wieder geöffnet sei. Es gilt weiterhin eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr. Der Putsch wird bei den Menschen mehrheitlich begrüßt. Es hat sogar Pro-Demonstrationen gegeben.  Es gibt die Hoffnung, dass sich die Sicherheitslage verbessert, der Terrorismus stärker und erfolgreicher bekämpft wird. Der neue starke Mann gilt als ausgewiesener Sicherheitsfachmann, der auch ein Buch darüber geschrieben hat. Ich weiß nun nicht, wie in Deutschland darüber berichtet wird. Es ist ein Putsch gegen einen gewählten Staatspräsidenten, klar. Es wird auch Sanktionen der Staaten der Welt gegen Burkina Faso geben – wie im Falle Malis. Es ist die Machtübernahme von Militärs (auch Thomas Sankara war übrigens ein Militär). Die Menschen hier hoffen auf eine Besserung der Situation.

Und weiter:

Dr. Pascale Pouzet aus Biberach, die im Vorstand des Fördervereins Piela-Bilanga für die Klein- und Mikroprojekte zuständig ist, und ich sind hier, um über die zukünftigen Projekte zu sprechen. Auch über ein Schulbauprojekt mit drei Schulen, das im Juli mit Förderung des BMZ beginnen soll. Pascale Pouzet ist gebürtige Französin, die seit langem in Biberach wohnt, Deutsch wie ihre Muttersprache spricht und ansonsten beruflich als Moderatorin arbeitet (oft auch im nordafrikanischen Bereich). Hier in Burkina Faso wird Französisch als Verkehrs- und Amtssprache gesprochen. Die ganze Woche über sind Gespräche mit den Verantwortlichen unseres Projektträgers vorgesehen. Aber auch mit dem Umfeld. So haben wir am Montag mit den zwei Bürgermeistern aus Piela und Bilanga gesprochen und speziell mit den Umwelt-Verantwortlichen über das Pflanzen von Bäumen in den Kommunen. Gestern waren die großen Projekte dran, heute sind es die Mikro- und Kleinprojekte. Morgen werden wir mit dem Koordinationsteam über interne Dinge wie die Buchhaltung sprechen. Es ist ein umfassendes Programm. … . Da wir seit zwei Jahren wegen der Corona-Einschränkungen nicht mehr hier sein konnten, hat sich einiges angestaut, Insgesamt sind es über die Woche um die 15 bis 20 Personen, mit denen wir sprechen werden. COVID-19 ist hier übrigens kein Thema. Man sieht wenige Leute, die Masken tragen, so gut wie niemand ist geimpft. Es herrscht eine große Skepsis dagegen. Wäre ein weiteres Thema.

So habe ich es erlebt, so war es; persönlich hatte ich nicht eine Sekunde Angst. Wir waren auch nicht wirklich betroffen. Auf den Straßen sah ich kein Militär. Das burkinische Fernsehen hielt sich bis Sonntagabend zurück, dann wurde sehr offen über den Putsch berichtet. Es gab auch erste Bilder über den neuen Machthaber. Bereits am Mittwoch war der Verkehr in Ouagadougou wieder so chaotisch und stark wie immer. Mehrere Tanzgruppen von jungen Leuten, eine davon aus Slowenien, die andere aus Kamerun, die für das jährliche Tanz-Festival im „Maison du peuple“ angereist waren, sorgten schon ab Montag wieder für eine ausgelassene Stimmung im Hotel. Nur am Sonntag waren alle unsicher.

Wieder zu Hause schreibe ich an einen Bekannten: (Zitat).

...

Am Sonntagmorgen, als der Putsch im Gange, alles nicht so klar war, habe ich „naiverweise“ einen Spaziergang zum Place de Nations unis (der Platz mit der Weltkugel) unternommen. Es war wenig los. Ich habe dieses eher dem Sonntag zugeschrieben. Man sah kein Militär auf den Straßen, auch keine Polizei. Hilfspolizei regelte den Verkehr an den Ampeln … alles ganz friedlich und ruhig, das Bild mit der Nationalflagge hatte nichts mit dem Putsch zu tun, sondern mit dem bevorstehenden Spiel der „Etalons“, der Fußball-Nationalmannschaft, im Afrika-Cup gegen Gabun. Dieses gewannen die Burkiner am Nachmittag mit 7:6 nach Elfmeterschießen. Somit in das Viertelfinale einzogen. Auch dieses Spiel am Samstagabend gegen Tunesien gewannen die Etalons mit 1:0 und stehen jetzt im Halbfinale. Das Ergebnis wurde mir über WhatsApp in das Flugzeug, das 11.000 m über der Sahara flog, mehrfach übermittelt. Bereits bei der Landung in Accra wurde die Nachricht im Flugzeug durchgesagt. Ich bin kein begeisterte Fußball-Fan. Was ich damit sagen möchte. Der Afrika-Cup bewegte die Menschen weitaus mehr als der Putsch. … das hast du ja auch im Artikel von Lanier nachgelesen. Mit Günther trafen wir uns zum Mittagessen, es war ein spannendes und anregendes Gespräch.

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Am Freitag waren wir bei der Botschaft, ebenfalls ein nettes, angenehmes und auch spannendes Gespräch mit dem neuen Botschafter. Er ist Berliner, sehr offen, nicht kompliziert. Es war gutes Gespräch ...

Ich habe ihn auch noch nach der Visa-Bearbeitung angesprochen. Wenn alle Unterlagen vollständig eingereicht werden, gehe das sehr schnell, innerhalb von 3 bis 4 Tagen. Er würde empfehlen, parallel zur Einreichung eine Mail an ihn zu schreiben.

Voraussetzung für die Erteilung ist eine gültige Impfung mit den dafür zugelassenen Impfstoffen, die auch bei uns gültig sind. Ohne geht nichts.

Die Skepsis gegen das Impfen ist riesig, er habe bei den Botschaftsangehörigen „die Daumenschrauben anziehen müssen“. Die Skepsis haben wir bei allen festgestellt. Auch bei unseren Leuten. Da ist keiner geimpft. Es gibt weitaus obskurere Verschwörungsmythen und sonstige Meinungen. Auch unter gebildeten Menschen … . Wäre mal eine Überlegung wert, warum das so ist …

Soweit zum Bericht des unmittelbar Erlebten. Die größte Einschränkung war, dass wir unsere Koffer erst am Freitag bekommen haben (Anm. d. Red.: in Ouagadougou). Diese waren am Samstag in Paris hängen geblieben, weil die Umsteigezeit zu kurz war. Wegen des Putsches gab es keine Flüge mehr nach Ouagadougou, der Flughafen war gesperrt. Daher kamen die Koffer erst am Freitag an, gerade noch rechtzeitig, um die mitgebrachten Geschenke zu verteilen und die Mitbringsel nach Hause einzupacken. Darunter auch der Ordner mit den Belegen des laufenden BMZ-Projektes.

Die burkinischen Freunde und Bekannten, alle Menschen, mit denen ich sprechen konnten, begrüßten den Putsch. Alle! „Es war höchste Zeit – jetzt wird alles besser“. Der Frust über die Zustände, das „Nichtstun“ der Regierung gegen den Terrorismus war überwältigend. Damit konnte der Putsch nur eine bessere Situation bringen. Sogar „unser“ Abgeordneter in der Nationalversammlung, Charles Lankoande, der zur Fraktion der regierungsnahen Partei NTD gehörte („Nouveau Temps pour la Démocratie“ / „Eine neue Zeit für die Demokratie“), war positiv eingestellt.

Charles Lankoande war ursprünglich „Sécretaire permanant“ der Partnerorganisation APB, später Bürgermeister von Bilanga. Vielen zuhause war diese Stimmung nicht zu erklären. Sie hatten andere Bilder im Kopf: Militär auf den Straßen, Patrouillen, Schützenpanzer, Barrikaden, Kontrollen, Gewalt …. All das war nicht so, es war ruhig. Der Staatsstreich war vorbei, bevor wir ihn richtig mitbekommen hatten.

Den Menschen war der Putsch – gefühlt – völlig gleichgültig. Im Nachhinein habe ich viel darüber nachgedacht. Über die Karriere eines Oberstleutnants, der es in wenigen Wochen zum Staatspräsidenten gebracht hat. Eine wahrlich steile Karriere. Gut zu verstehen ist, dass es einem Hirsebauer in Djoari, mitten im Busch, der um Essen für seine Familie sorgen muss, der oft Hunger leidet, der täglich den Rücken gebeugt mit der Holzhacke versucht, den harten Boden zu lockern, völlig egal sein kann, wer im fernen Ouagadougou gerade an der Regierung ist. Der Hauptstadt, in der er noch nie war, von all dem er nichts weiß. Ja weiß er denn überhaupt, was eine Regierung ist? Er kennt seinen „Chef“, die Notablen, sein Familienoberhaupt, sicher sind ihm auch schon Gendarmen (eher unfreundlich) über den Weg gelaufen.  Doch wie ist es mit Assemblée nationale, Président, Regierung, Staat?Bild 2

Doch die Lehrerin am Lycée in Ouaga, in Fada N’Gourma, in Bilanga, wie denkt sie über das Recht zu putschen, den gewählten Staatspräsidenten abzusetzen, gewählte Bürgermeister*innen zu entlassen, gewählte Gemeindeparlamente aufzulösen, die gewählten Abgeordneten in die Wüste zu schicken? Wie denkt sie darüber? Der Student an der Uni in Koudougou? Ich weiß es nicht. Das Konstrukt eines Staates, die Idee der Demokratie, samt Macht der Mehrheit mit Gewaltenteilung, Parlament und Regierung auf Zeit. Sind dies nicht von uns „Weißen“, von den Kolonialmächten in das Land gebrachte Vorstellungen? Die wenig mit den Traditionen, Sitten, Ritualen, den religiösen Vorstellung, dem täglichen Leben zu tun haben? Andere Ideen und Vorstellungen über das Zusammenleben von Menschen, die noch lange nicht in das alltägliche Leben integriert worden sind?

Burkina Faso ist ein Land im Umbruch, auf dem mühsamen Weg in die „Neuzeit“, bestrebt, Gewalt, Terror und Gewalt abzuschütteln. … Können wir dabei helfen? – Und wie?

Der Autor: Erwin Wiest ist Vorsitzender des Fördervereins Piela-Bilanga aus Ochsenhausen. Ein-und-zwanzig Mal zwischen 1987 und 2022 besuchte und bereiste er Burkina Faso.

Der Verein Piela – Bilanga engagiert sich seit 40 Jahren in den Kommunen Piela und Bilanga im Osten von Burkina Faso, hauptsächlich beim Bau von Schulen und Brunnen und Mikroprojekten. Er arbeitet dabei eng mit der Association Piela-Bilanga (APB) und der protestantischen Kirche EE/SIM aus der Gnagna Provinz zusammen. 

Internet: www.piela . de    Email: vorstand@piela . de